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Exquisites Orchesterkonzert mit Weltklassesolisten

Herrenberg: Südwestdeutsches Kammerorchester und Sergej Krylov treten in der Stiftskirche auf

Trotz hoher musikalischer Qualität der Aufführenden: Die Stiftskirche war alles andere als voll besetzt, GB-Foto: Holom

Selten ist in Herrenberg klassische Musik auf solchem Niveau zu erleben wie beim Auftaktkonzert der diesjährigen "Sommerfarben" des Südwestdeutschen Kammerorchesters unter Leitung von Timo Handschuh mit dem Violinisten Sergej Krylov als Solisten in der Stiftskirche.

Obwohl das Südwestdeutsche Kammerorchester Pforzheim, seit Jahrzehnten als hochkarätiger und differenzierter Klangkörper bekannt, über seinen eingeschworenen und durchaus mobilen "Fan-Club" verfügt, war die Herrenberger Stiftskirche alles andere als voll besetzt, was angesichts der Qualität des als Auftakt der "Sommerfarben" gebotenen Konzerts sowie des verdienten weltweiten Renommees des Solisten Sergej Krylov verwundert und nachdenklich stimmt.

Beginnt das Konzert gefällig mit drei ungarischen Tänzen von Johannes Brahms (Nr. 1 in g-Moll, Allegro molto, Nr. 3 in F-Dur, Allegretto und Nr. 5 in g-Moll, Allegro), die speziell für die Besetzung des Südwestdeutschen Kammerorchesters bearbeitet wurden, und rasant bis charmant unter minimalem Ausloten ihres eigentlichen Kerns sowie ihrer klanglichen und harmonischen Facetten vorüberziehen, entwickelt es sich bald zu einem wahren Schatzkästlein selten aufgeführter und überaus reizvoller Werke.

Schon in der Sinfonia Nr. 10 in h-Moll, einem Jugendwerk des zur Zeit seiner Entstehung erst 14-jährigen Felix Mendelssohn-Bartholdy, zeigt das Orchester unter Leitung von Timo Handschuh ein bemerkenswertes Gespür für die differenzierten harmonischen Wendungen und den spezifischen Klang des ungewöhnlicherweise einsätzigen, aber in einen ruhigen Adagio-Teil, gefolgt von einem turbulenten Allegro unterteilten Werks. Das lässt viele folgende und vielleicht bedeutendere Kompositionen Mendelssohn-Bartholdys bereits erahnen, und eben diese Ausblicke zu eröffnen und gleichzeitig dieses Frühwerk als Solitär wirken zu lassen, stellt hier sicherlich die eigentliche Aufgabe dar und ist vollkommen gelungen. Besonderen Ruhm zu Lebzeiten brachten dem damals durchaus geschätzten Komponisten und Lehrer heute wesentlich bekannterer Komponisten Robert Fuchs seine Serenaden für Streichorchester, von denen nun die dritte in e-Moll, Opus 21, zu hören ist. Alle kompositorischen Kniffe beherrschend, doch weder eine Strömung noch eine grundsätzliche Neuerung mit Vehemenz vertretend, obendrein von bescheidener Wesensart, geriet sein Werk eher und eigentlich zu Unrecht in Vergessenheit. Farbenreich arbeitet Handschuh hier die Charaktere der einzelnen Sätze heraus, so gerät die "Romanze" zu einer Hymne auf den vollen Streicherklang, der Dreier-Takt des "Menuetts" schwingt in eigentümlicher Art, das "Allegretto" erinnert an ein fröhliches "Haschemann-Spiel", während das "Finale alla Zingarese, Allegro con fuoco" dem Ganzen einen furiosen und schillernden Abschluss beschert.

Ein ausgesprochen selten aufgeführtes Stück von Leonard Bernstein, das sich zum großen Teil und auf den ersten Blick schwer in Kontext zu seinen vielgespielten und fast "populären" Werken bringen lässt und doch so typisch für eine andere Seite dieser vielseitig begabten Musikerpersönlichkeit, ist die "Serenade nach Platons Symposion" für Solo-Violine, Harfe, Schlagzeug und Streichorchester, zu der Bernstein durch die Lektüre Platons in Dialogform gehaltenen Werks "Symposion" inspiriert wurde. Beginnt der erste Satz "Phaedrus: Pausanias" mit einem ausgedehnten Violin-Solo, zieht der 1970 in Moskau in eine Musikerfamilie hineingeborene Sergej Krylov sofort alles, was lebt und hört, in seinen Bann. Mit bestens organisierter Technik, dem beinahe pragmatisch uneitlen Auftreten und der unerschöpflich scheinenden Energie russischer Musiker dieser Generation widmet er sich durchdacht und mit Geschmack der Interpretation auch der folgenden Sätze "Aristophanes", "Eryximathus", "Agathon" und "Socrates: Alcibiades". Seinem Geigenton kommt seine breitschultrig, eher gedrungene Statur zugute, verleiht ihm Kraft, Wärme und eine in keiner Tonlage jemals zur Schärfe neigende Geschmeidigkeit. Das Südwestdeutsche Kammerorchester, hier mit üppigem Schlagwerk angereichert, bietet dem Solisten einen angemessenen Rahmen.

Stürmischer Applaus und Zugabe-Rufe des Publikums spornen Krylov zu einer weiteren Kostprobe seiner Virtuosität an, dem 24. Capriccio in a-Moll von Niccoló Paganini, makellos, stellenweise fast atemlos, doch stets von sattem Ton, bevor auf weiteres Insistieren der Konzertbesucher auch Timo Handschuh noch einmal zum Taktstock greift, um Sergej Krylov zu "Präludium und Allegro" von Fritz Kreisler im Stile von Gaetano Pugnani zu begleiten.

Gäubote, 4. Juli 2017, Nicola Hollenbach

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