Pressestimmen

Frische Klangwelten für das 21. Jahrhundert

Herrenberg: Studenten der Stuttgarter Musikhochschule geben ein fulminantes Gastspiel an Percussion-Instrumenten

Frische Klangwelten für das 21. Jahrhundert

Neue Klänge: Hye-Ji Bak am Marimbafon GB-Foto: Bäuerle

Während Nikolaus Aicher sich seine ersten musikalischen Sporen an der Herrenberger Musikschule verdient hat, etliche Preise beim Bundeswettbewerb "Jugend musiziert" einheimst, ist Hye-Ji Bak eine Unbekannte der Gäustadt. Die Südkoreanerin, die ihre ersten Gehversuche im Schlagzeugbereich im Alter von 15 Jahren macht, ist auf dem besten Weg eine ganz Große ihres Faches zu werden. Ein erster Platz bei der "Universal Marimba Competition" in Belgien, der noch mit dem Publikumspreis und der besten Konzertperformance versüßt wird, der Sieg beim "Sparda Classic-Award" sprechen für sich.

Die beiden jungen Musiker trauen sich etwas, nehmen ihr Publikum mit zu ungewöhnlichen musikalischen Motiven und Themen, Tönen und Lauten. Nicht wenige Musikliebhaber sind das: Das Studio der Musikschule ist rappelvoll.

Der Auftakt zu zweit klingt, als ob der Hochgeschwindigkeitsturbo eines Metronoms gezündet würde. Das klickt und klackt. Baumarktholz oder Klötzchen zur Hand genommen, rasend schnell, im immergleichen Takt mit einem Schlagklöppel bearbeitet - fertig ist das beschwörende Schmankerl aus dem minimalistischen Teilchenbeschleuniger eines Steve Reich. Trotz oder gerade wegen der schlichten Zutaten versprüht diese "Clapping Music" einen elementaren, hypnotischen Zauber, gerät überraschend polyfon.

Dann schlägt die Stunde der Soloauftritte. Die 1991 geborene Hye-Ji Bak schnappt sich vier Schlägel auf einen Streich, gleitet scheinbar schwerelos über die Klangplatten der Marimba, als ob sie mit chinesischen Essstäbchen hantieren würde. Für die galanten und grazilen Klangfarben des getragenen Satzes aus Johann Sebastian Bachs zweiter Violin-Sonate in a-Moll wollen die Platten zart, mit viel Gefühl gestreichelt sein. Bach und Marimba, das funktioniert prächtig, verleiht den kapriziös gezügelten Affekten einen mehr perlenden, melodisch geschmeidigeren, Fluss.

Trommeln im "Maschinentakt"

Nikolaus Aicher katapultiert die Zuhörer über einen magnetisierenden Rhythmusstrudel in die Gegenwart. Es trommelt im adrenalingeladenen "Maschinentakt", wirbelt, rauscht, dröhnt, rasselt, schellt, ist zwischendurch still, um schlussendlich in ein fiebrig-pochendes Staccato-Feuerwerk zu gipfeln. Manfred Kniels "Top Secret" für Snare Drum nebst allerlei anderem tönemachenden Budenzauber ist eine arhythmische, experimentelle und verrückte Soundkiste, die sich gewaschen hat.

Mit zu den Höhepunkten des Abends zählen drei neutönerne Gipfelstürme der Südkoreanerin. "Hard-Boiled Capitalism and the Day Mr. Friedman noticed Google is a Verb" ist erst einmal unter irrsinniger, elektrisierender Fluchtgeschwindigkeit auf die Marimba hingelegte Nervenfasermusik.

Dann lösen sich Turbulenzen und Tumult des verschachtelten Werkes in einer ätherischen, fast mystischen Stimmung auf, die an das "Klingen der Glocken" eines Arvo Pärt erinnert. Dass diese Hye-Ji Bak auch eine Meisterin des Drumsets ist, unterstreicht sie eindrücklich mit der eruptiven, vulkanartigen Gigantomanie der "Rebonds" des griechischen Komponisten Iannis Xenakis. Was einen beim ersten Hören als archaische, markige Apokalyptik in die Knie zu zwingen droht, entpuppt sich mehr und mehr als eine Art mathematisch-geordneter Ritus. Kein Wunder - hat Xenakis doch versucht Mengenlehre, Wahrscheinlichkeitsrechnungen oder Chaostheorie Musik werden zu lassen. Über die zuweilen euphorische Dynamik, die mitunter samtweichen, meditativen Passagen von "Niflheim" des jungen Komponisten Csaba Zoltan Marjan ziehen nicht nur die Nebelschleier nordischer Mythologie, sondern auch eine A-tonale und freie "Harmonien" herauf, die sich mit der musikalischen "Hexenküche" eines György Ligeti oder Paul Hindemith nicht viel schenken. Im Duett oder allein, mit "Spiral 1" von Eric Sammut und Eric Saties "Gymnopedie Nr. 1" be- und verrücken den Zuhörer federleichte, balsamische Klangschönheiten, ob nun halluzinogen und pagan, trostvoll und zartbesaitet. Zeitgenössische trifft hier auf klassische Moderne. Eric Satie spielt mit seinem Frühwerk im Zeitlupen-Walzertakt auf die nackten Jünglinge an, die zu Ehren der Gefallenen der Schlacht von Thyrea, im antiken Sparta um eine Apollo-Statue tanzen.

 

Rüdiger Schwarz                                                                                               Gäubote: Montag, 27.06.2016

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