Pressestimmen
Klangfantastisch und klangverspielt
Gäubote, 17.05.2022
Klangfantastisch und klangverspielt
Viva la vida – Es lebe das Leben! Das köchelte die letzten beiden Jahre allerdings auf Sparflamme. Auch mit den Freuden des Musizierens war es erst einmal vorbei. Geprobt wurde entweder gar nicht oder nur mit der halben Mannschaft. An Auftritte war eh nicht zu denken. Für die Ensembles der Herrenberger Musikschule brachen harte Zeiten an.
Jetzt endlich steht der stellvertretende Leiter der Musikschule auf der Bühne der Stadthalle und darf das erste große Konzert nach der langen Durststrecke ankündigen. „Viva la vida“, so heißt auch der Welthit der britischen Alternativband Coldplay. Anno 2008 klingen sie wieder befreiter, frischer und gelöster als noch die Jahre zuvor, wo der Sound doch ein wenig breiig und schwülstig daherkam. Das Ensemble Woodcraft nimmt jenen flirrenden, vibrierenden Drive auf, feiert mit tempogeladenen Überschwang die Welt und das Leben.
Das tut auch die lebhafte, freudig-muntere Rhythmik einer böhmischen Polka. Sie stammt aus einer ganzen Serie von insgesamt 16 slawischen Tänzen, die Antonin Dvorák auf Anregung von Johannes Brahms zwischen 1878 und 1886 erschafft. Von der lässigen Leichtigkeit des Seins, Momenten eines gedankenverlorenen Verweilens, dem bimmelnden Telefon eines New Yorker Hotels, verzehrendem Liebessehnen erzählen wiederum Swing-Songs von Glenn Miller. Die jungen Musiker werden zu Jazz-Flaneuren, spielen mal mit mondänem Flair und fingerschnippenden Elan, mal mit flottem Drive und keckem Esprit, reichen dann wieder eine wunderschön sentimentale Zartbitternote an.
Mit dem Percussion-Ensemble wird man gewissermaßen zum Sklaven des Rhythmus, seiner entfesselnden Kraft. Mit einer vom Leiter des Ensembles, Johannes Reischmann, komponierten „Samba a saude“ wird man in einen brodelnden, lodernden, feurigen Rhythmuskessel geworfen. Der ist heiß, sehr heiß, siedend heiß, bringt das Blut zum Kochen. Ein Rhythmus peitscht den nächsten voran bis zum schweißtreibenden Paukenschlagfinale.
Dann wehen Bambusblätter im Wind, Tautropfen perlen an ihnen ab. Die Blätter werden davongetrieben, schweben dahin, gleiten übers rauschende Wasser. Mit Eckhard Kopetzkis „Bamboo leaves“, dem glockenhellen, glasklaren, filigranen Klang der Vibrafone, dem warm und erdig glühenden Klang der Marimbas nebst chinesischem Becken und anderem Schlagwerk fliegt man wie ein Bambusblatt im Winde von einem Klangkomplex zum nächsten. In diesem geheimnisvoll schillernden und schimmernden Klangkaleidoskop verbindet sich Musik mit Natur und Poesie. Eine freie Rhythmik lässt die Musik organisch, aber auch melodisch erhaben und fein fließen.
Die Zeit der Streicher bricht an. Wie ein subtiles, verschattetes Aquarell, eine bewegte, verspielte Skizze wirken diese „Sentimental Sarabande“ sowie das „Playful Pizzicato“ aus Benjamin Brittens „Simply Symphonie“. Das Jugend-Sinfonieorchester beschwört eine elegische Stimmung herauf, schwelgt in zartschmelzender Melodienseligkeit. Die Moderne wird ein letztes Mal vom wehmütigen Abendglanz der Spätromantik beschienen, lyrisch, malerisch, zum Sterben schön, der Klangsphäre eines Gustav Mahlers würdig.
Dann werden die Saiten wiederum gezupft, locker, leichthändig, verspielt und virtuos. Ein Pizzicato als Scherzo, quirlig, prickelnd und kribbelnd, so unglaublich federleicht, so voller Energie. Dynamischer Schmiss, frische Tempi, spannungsvoll knisternde Crescendi, sehnsuchtsvolle Riterdandi künden von Lust und Verführung, Schicksal und Verhängnis, Stolz und Leidenschaft, Triumph und Tod, Unschuld und Grausamkeit. Mit konzertanten Arien samt overtürehaftem Zwischenspiel bringt das junge Orchester George Bizets „Carmen“ von der Opernbühne auf das Konzertpodium. Ob die lustvoll-bestimmte Habanera, das glanzvoll-feurige spanische Marschtempo des Torero-Lieds oder die erotisch knisternde „Seguidilla“: Es wird aus dem Vollen geschöpft, atmosphärisch dicht, strahlend farbig, forsch, sinnlich, bewegend und anrührend, ohne allzu viel blumig parfürmierte Schwüle.
Ganz großes Kino gibt es noch mit musikalischen Höhepunkten aus den ersten drei Harry-Potter-Filmen. Cinemaskope-Sound satt, spektakulär und mitreißend. Derweil gibt es mit dem blutjungen Ensemble Violontissimo peppigen Rhythm&Blues samt Beethovens Vier-Noten-Riff aus der fünften Sinfonie als launig pulsierendes, pfiffiges Easy-Pop-Tänzchen. Es lebe die Musik!
Gäubote, 17.05.2022
Rüciger Schwarz