Pressestimmen

Liebevoller und strenger Freund

Das Jugend-Sinfonieorchester Herrenberg

Geboren wurde Hrayr Atshemyan in der Stadt Jerewan in Armenien. Als Siebenjähriger startete er seine musikalische Ausbildung an der dortigen Musikschule. Dabei setzte er sich von Anfang an für die Geige ein und gegen seine Mutter durch, die – als ausgebildete Pianistin – das Klavier als Instrument favorisiert hatte. Versonnen lächelnd stellt der Musiker klar: „Ich war einfach in die Geige verliebt.“ Zweimal wöchentlich besuchte er begeistert die Geigenstunde. Und bereits im Alter von elf Jahren war ihm klar, dass er später Berufsmusiker – Geiger – werden wollte. Rückblickend stellt der Orchesterleiter fest, dass die damalige Ausbildung in Armenien in der Tradition der Musikschulen der Sowjetunion stand, galten doch in beiden Ländern die Musikschulen als Kaderschmieden für zukünftige Musiker: Wer dort lernte, wollte Berufsmusiker werden.

Ganz anders erlebt Hrayr Atshemyan die musikalische Erziehung in Deutschland. Seiner Beobachtung nach liegt das Ziel hier eher in der Begegnung mit der Musik. „Kinder, die in die Musikschule gehen, lernen dort und lassen sich auch begeistern, haben aber völlig andere Berufsziele. Später – im Erwachsenenalter angekommen – fördern sie jedoch Musik auf ihre eigene Art“, fasst er seine Beobachtungen zusammen und stellt anerkennend fest, dass „es in Deutschland kaum Menschen gibt, die kein Instrument spielen“.

In Armenien übte der angehende Geiger regelmäßig. Die Musikschule war anspruchsvoll. Sehr schnell standen schwierige Stücke auf dem Plan. Dazu spielten die Eleven zahlreiche Konzerte und nahmen an Wettbewerben teil. Gleichzeitig musste er auf seine Finger aufpassen. Während Hrayr Atshemyan als kleiner Junge bevorzugt Straßenfußball gespielt hatte und auf Bäume und Garagen geklettert war, musste er diese Aktivitäten wegen potenzieller Verletzungen einstellen.

Mit 16 Jahren begann er sein Studium am Konservatorium in Jerewan. Zwei Jahre später genoss er sechs Wochen Unterricht bei dem berühmten Geigenvirtuosen Isthak Perlman in New York. Gerne erinnert sich Hrayr Atshemyan an diese Zeit zurück. „Da habe ich viel für das Leben gelernt. Es war überwältigend. Die Schüler kamen aus allen Teilen der Welt. Wir haben zusammen gelebt, zusammen gegessen, gemeinsam Musik gehört und gemacht. Es war unvergesslich“, berichtet er mit leuchtenden Augen.

Beseelt von der kurzen Zeit in New York setzte er sein Studium in Michigan, USA, am College of Music fort, ehe er an die Musikhochschule nach Stuttgart wechselte. Während seiner Ausbildung zum Master studierte er im Nebenfach Dirigieren.

Neben Armenisch, Russisch und Englisch spricht Hrayr Atshemyan mittlerweile akzentfrei Deutsch. Momentan lernt er Französisch, um sich mit seiner Ehefrau in deren Muttersprache verständigen zu können.

An der Musikschule Herrenberg ist der Musiker halbtags beschäftigt: Als Geigenlehrer und als Leiter des Jugend-Sinfonieorchesters. „Das ist die perfekte Kombination für mich. Ich fühle mich hier sehr wohl.“ Die Arbeit als Orchesterleiter ist sehr interessant. Kinder ticken anders als Profimusiker, die mit den Abläufen der Proben und Konzerte bestens betraut sind. „Die Kinder müssen alles von Anfang an lernen.“ Wichtig ist dem Orchesterleiter, dass seine Schüler „von allen Seiten das Orchesterleben spüren“, was bedeutet, dass die Schüler auch immer wieder die Plätze wechseln. Seine Aufgabe als Orchesterleiter geht weit über das Dirigieren des Orchesters hinaus. „Ich bin Notenkopierer, Organisator, E-Mail-Schreiber, Verwalter und über allem bin ich Papa und Freund, ein liebevoller, aber mitunter auch strenger Freund der 50 Musiker, die unter meiner Leitung spielen“, fasst er seine Tätigkeit zusammen. Wöchentlich werden 90 Minuten gemeinsam geprobt.

Momentan übt Hrayr Atshemyan mit seinem Orchester für das Konzert am 17. Mai Themen aus der Oper Carmen von George Bizet, sowie auch Musik von John Williams aus den Harry-Potter-Filmen ein.

Der Gegenvirtuose ist mit seinem Instrument – auch außerhalb der Musikschule – sehr aktiv. Er spielt zahlreiche eigene Konzerte, arbeitet in verschiedenen Projekten mit und ist Mitglied des Orchesters „European Philharmonic of Switzerland“. In der Musik zu Hause, weltweit auf Konzerten unterwegs, ist er immer bestrebt, wenigstens einmal im Jahr seine Heimat in Armenien zu besuchen. „Das Obst und Gemüse dort ist unvergleichlich. Das vermisse ich hier schon.“

Bericht: 07.03.20                        Gabi Weber-Urban

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