Pressestimmen
Schwungvoll und mit zartem Ton
Herrenberg: Musikalische Europareise des Stadtorchesters endet rechtzeitig zum Anpfiff des EM-Spiels Schweiz – Deutschland, aber nicht ohne tosenden Applaus.
Es ist ein warmer Empfang, ein wenig geheimnisvoll, wie Märchen halt sind: Mit der Ouvertüre zu Engelbert Humperdincks „Hänsel und Gretel“ gibt Matthias Blasberg in der gut besetzten Stadthalle sein Debüt als Dirigent des Herrenberger Stadtorchesters. Einfühlsam führt er durch die Irrwege des Märchens, lässt die Musik von den Gefahren des Waldes und der bösen Hexe erzählen. Es ist eine lebendige, manchmal quirlige Musik, lebhaft wie Kinder eben sein sollen. Das Entree gelingt wunderbar, und nun kann Sabine Blasberg den Stab von ihrem Ehemann übernehmen, um das so eingespielte Orchester, in dem auch die Musikschule gut vertreten ist, durch das Sommerkonzert zu leiten. Vier Sätze aus der Sylvia-Suite, eine Ballettmusik von Léo Delibes mit reicher und feinsinniger Instrumentierung und Melodik stehen auf dem Programm. Der französische Komponist war ein Zeitgenosse Peter Tschaikowskys, etwas in seinem Schatten geblieben aber von ihm sehr geschätzt.
Hier haben die einzelnen Gruppen des Orchesters vielfach Gelegenheit, ihren Facettenreichtum, ihr Können auszuspielen: Es beginnt mit einem kraftvollen Auftritt aller Instrumente, dann übernehmen die Hörner, Bilder von wilder Jagd kommen auf, und wirklich: Im Ballett treten die Ballerinen, wie der Titel „Les Chasseresses“ andeutet, als Jägerinnen auf. Geigen und Celli übernehmen die Melodie, es entspinnt sich eine Art Dialog, es kommt Bewegung in den Tanz. Ein langsamer Walzer schiebt sich ein, zarte Töne der Querflöten und Oboen, Streicher schmiegen sich in die Melodie, Flöten gestalten einen aufmunternden Rhythmus. Schön und eingängig ist die von Pizzicati gestaltete Melodie, perfekt von den Streichern aufgeführt wie der Tanz von Ballerinen auf großer Bühne. Man sieht sie vor sich, auf den Fußspitzen schwebend, spürt eine Art Schwerelosigkeit.
Da ist viel Grazie in der Musik, die etwas schwer, aber prachtvoll mit einer Prozession für Bacchus in die Pause überleitet. Da mögen es manche gedacht, vielleicht auch gesagt haben: Auf solch ein Stadtorchester kann man stolz sein, das kann sich hören lassen. Das Programm gefällt, es kann ja im Blick auf die EM durchaus mit dem Gedanken des Europäischen mithalten, sei es durch die musikalisch nach Norwegen oder ins Slawische entführende Musik, sei es durch die Wahl von Komponisten aus England, Frankreich und Böhmen, dem Herkunftsland Dvoráks.
Und weiter geht die Europareise: Ein Presto aus der „Rhapsodie Norvégienne“ von Èdouard Lalo setzt das Konzert in bewegter Weise fort. Der französische Komponist nahm gern Anregungen aus volkstümlicher Musik anderer Länder auf, wählte die Rhapsodie als eine Form, die auf die antiken griechischen Wandersänger zurückweist und an keine bestimmte Form gebunden ist. Sein Werk klingt vertraut, vielleicht, weil er selbst seine Wurzeln in der deutschen Musik sah. Es ist ein abwechslungsreicher Satz, im intensiven Spiel des Orchesters klingt die Freude am Musizieren an. Zarte Töne dann mit „Enigma-Variationen“ von Edward Elgar, wie eine Woge schwillt die sinfonische Musik an, entfaltet sich sanft, gefühlvoll, sehnsucht- weckend, geheimnisvoll, ein Enigma eben.
Antonin Dvorák schuf mit dem Opus 46 14 Stücke, die als „Slawische Tänze“ berühmt wurden, vor allem die Nummer 8. Doch bevor das Programm mit diesem kontrastreichen, schwungvollen Tanz endet, folgt man fasziniert den Klängen der Nummer 6: Der Tanz hat etwas von Leichtigkeit, Sorglosigkeit, die Tänzer – hier die Musiker – scheinen ganz befreit von der Schwere des Alltags, das setzt sich in die Zuhörerschaft fort. Es tanzt so für sich hin, doch gibt es auch Momente des Innehaltens, des Horchens nach innen. Mehr noch ein Volkstanz, der zu ergreifen und zu bewegen vermag ist der nun folgende, geschmeidig und sehr schwungvoll gespielt, und als sich ein begeisterter Applaus anschließt, hört man viele Extra-Bravos für einzelne Instrumentengruppen.
Drum lässt Sabine Blasberg ihn auch gleich noch einmal spielen, und weil es auf 21 Uhr zugeht – die EM wartet – wird nun auch noch einmal das Adagio aus den Enigma-Variationen gespielt, klingt der von Begeisterung und Freude auf beiden Seiten erfüllte Konzertabend beruhigend aus.
Gäubote, 25.06.2024
Gabriele Pfaus-Schiller