Pressestimmen

Urvertrauen fassen in das eigene Spiel

Herrenberg: Studenten der Musikhochschule Stuttgart servieren in ihrem Konzert "Cellicatessen"

Urvertrauen fassen in das eigene Spiel

Der Pädagoge verrät, wie er sie fördert: "Es geht nicht darum, Schwächen auszumerzen, sondern sie zu verstehen. Man kann sie zu Stärken verwandeln." Izabela Melkonyan begleitet die Musikstudenten im Wechsel mit Eun-Ju Song am Klavier. Nur Ead Anner Rückschloß lässt sich von seiner Schwester Ada Arja begleiten. Mit der Sonate in A-Dur von César Franck erlebt man die Verbundenheit von Instrumenten und Geschwistern. Man fühlt sich hineingenommen in die Musik und wird erhoben in eine geistige Dimension. Die Musik ist nachdenklich oder wild, fließend, manchmal tänzerisch, einer nimmt die Erzählung des anderen auf und führt sie fort - eine beeindruckende Darbietung. Zum Pezzo Capriccioso von Peter Tschaikowsky tritt Nicola Pfeffer an, Heiterkeit, als sie zur Fixierung des Cellos einen Gürtel auslegt, dann ertönen anschmiegsame Brummtöne, wandeln sich zu fröhlichen, manchmal zwitschernden Klängen, das Tempo steigert sich enorm. Sehr lebendig ist ihr Spiel, ohne jede Anstrengung, eben meisterhaft.

 

Mit großer Geste legt sich nun Rustem Khamidullin in die ersten Takte der Sonate op. 6 von Richard Strauß. Seine Bewegung erlebt man als Spiegel innerer Teilnahme, Cello und menschlicher Körper wiegen sich im Gleichklang. Wild und temperamentvoll, manchmal unruhig geht es zu. Zwischendurch werden Mensch und Cello vom Schweiß befreit, dann folgt das Andante der Sonate, die Strauß bereits als 19-Jähriger komponierte. Ruhe kehrt ein, als die Klänge langsam und satt aus dem Bauch des Cellos fließen. Man erinnert sich an die Worte Brotbeks zu Beginn: Der Pädagoge öffnet ein Fenster für die Studierenden, hindurchschauen müssen sie selbst. Hier scheint es ein großes Tor zu sein, durch das der Cellist schaut. Was er sieht, wird innig und ausdrucksvoll erzählt - das erlebt man bei allen Interpreten dieses besonderen Abends.

War der erste Teil des Konzerts den Klassikern gewidmet, so sind es nach der Pause berühmte, auch komponierende Cellisten. "Am Springbrunnen" von Carl Davidoff wird von Nicola Pfeffer hinreißend und munter vorgetragen. Drei Stücke von David Popper folgen, dessen Etüden alle Cello-Studenten begleiten. Bei Sojin Park besitzen die Finger eine eigene Ausdruckkraft, bei der Ungarischen Rhapsodie op. 68 gleiten und tanzen sie anmutig über die Saiten, sie spielt mit Temperament und Hingabe. Drei Celli lassen dann mit dem Requiem op. 66 eine ruhige Stimmung einkehren, dann belebt Rustem Khamidullin die Geister mit dem Elfentanz op. 39. Kurz, kraftvoll und mit großer Wirkung, dabei sensibel gespielt, das gilt auch für "Hora Staccato" von Grigoras Diniku, das er später vorträgt. Doch zunächst bringt Amanda Britos Garcia sehr innig eine Suite von Caspar Cassado zu Gehör, ein Stück mit folkloristischen und wehmütigen Passagen. Schön spürt man die vertraute, innige Verbindung mit dem Instrument, die Cellistin ist ganz bei sich selbst. Variationen über ein Thema von Bohuslac Martinu beenden das Programm und werden von Sahra Kim einfühlsam gespielt, man meint zu spüren und zu hören, wie sich der Atem der Cellistin im Instrument fortsetzt.

Das Publikum ist begeistert, applaudiert lang und wohlwollend. Es ist die Verschiedenheit der Interpretationen, die überrascht und fasziniert. Sie dokumentiert Geheimnis und Erfolg der pädagogischen Vorgehensweise Professor Brotbeks: indem er die Studenten zu verstehen versucht hilft er ihnen, sich selbst zu verstehen. Und noch wichtiger, "eine Art Urvertrauen zu fassen in das eigene Spiel". Sie sind Musikerpersönlichkeiten mit dem Vermögen, die Zuhörer geistig und emotional in ihr Spiel hineinzunehmen und für einen Abend glücklicher zu machen. Zum Ragtime als Zugabe treten alle sieben Cello-Studenten noch einmal an.

 

Gäubote 15. Mai 2017, Gabriele Pfaus-Schiller

 

 

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